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Der Eizelle auf die Sprünge helfen
14.03.2005 / AUS DEM WESTEN / MANTEL
Der Eizelle auf die Sprünge helfen
Gerade ältere Paare suchen Kinderwunsch-Kliniken
auf - Beispiel Gelsenkirchen
Von Hayke Lanwert
WAZ Gelsenkirchen. Weil Paare ihren Wunsch
nach Kindern immer häufiger auf später
verschieben, sind so genannte Kinderwunschpraxen
gefragter denn je. Das Baby aus dem Reagenzglas
ist längst kein Tabu mehr. Wo die natürliche
Fruchtbarkeit sinkt, wird der Eizelle auf
die Sprünge geholfen.
Vera Beckmann* hätte auch sehr gut ohne
Kinder leben können. Warum auch nicht.
30 Jahre war sie, als sie mit ihrem Mann
entschied, nun sei der richtige Zeitpunkt,
ein Kind zu bekommen. Da hatte sie ihr
Studium hinter sich, war längst berufstätig.
Eine entspannte Situation also, die sich
jedoch bald ändern sollte. Denn mit jedem
Jahr, das verging, ohne dass sich ihr Kinderwunsch
erfüllte, nahm dieser heftigere Formen
an. Am Ende war es schwierig für sie, einen
Kinderwagen zu sehen. Dass sie heute, mit
39 Jahren, selbst Zwillinge durch die Gegend
schiebt, verdankt sie einer Gelsenkirchener
Kinderwunschpraxis. Mutterglück per Nachhilfe
also.
Wer das Wartezimmer der Praxis im Gelsenkirchener
Wissenschaftspark betritt, kommt nicht
umhin, die Fotos dieser Babys anzusehen.
Schlafende, lachende, solche mit strubbeligen
Haaren und krebsroter, geburtsfrischer
Haut. Lauter Wunschkinder, lauter Träume,
die Wirklichkeit geworden sind. Und so
steht es denn auch da, in den Dankesbriefen
und Lobeshymnen an Ute Czeromin und Ina
Walter-Göbel, Chefinnen der Gelsenkirchener
Kinderwunschpraxis.
Wer den Weg zu ihnen findet, hat meist
schon viele Jahre des sich Quälens hinter
sich, eine Odyssee von Arzt zu Arzt, hat
erfahren, dass Sex zum Zeitpunkt des Eisprunges
ziemlich schrecklich sein kann. Knapp über
100 solcher Praxen gibt es inzwischen im
gesamten Bundesgebiet. Denn seit Louise
Brown, dem 1978 als erstem in vitro, im
Reagenzglas also, gezeugten Baby hat sich
die Medizintechnik immens entwickelt. Künstliche
Befruchtung ist nicht mehr das hochkomplizierte
Verfahren, das Universitätskliniken vorbehalten
ist, sondern ambulante Normalität.
Jedes sechste Paar ist ungewollt kinderlos,
jährlich nehmen etwa 200 000 Paare das
in Anspruch, was im Fachjargon reproduktionsmedizinische
Hilfe genannt wird. Allein 2003 kamen 16
000 Babys zur Welt, die außerhalb des Körpers
gezeugt und anschließend der Mutter mit
Hilfe eines feinen Schlauches in die Gebärmutter
eingesetzt werden. 16 000, das sind mehr
als zwei Prozent der in Deutschland jährlich
geborenen Kinder.
"Manche Paare, die bei uns im Erstgespräch
sitzen, sind bereits seit zehn Jahren kinderlos.
Auf jeden Fall aber haben sie sich von
dem romantischen Gedanken verabschiedet,
ihr Kind auf Moos zu zeugen", sagt Ute
Czeromin. Das zwölfköpfige Gelsenkirchener
Team, allesamt Frauen übrigens, arbeitet
mit dem üblichen medizinischen Instrumentarium
für solche Fälle, mit Hormontherapien,
künstlicher Befruchtung außerhalb des Körpers
und der so genannten ICSI-Methode, bei
der ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer
sehr feinen Glasnadel direkt in die Eizelle
gespritzt wird.
"Wir sind jedoch weit davon entfernt,
Babymacher zu sein. Da ist immer noch ganz
viel Natur dabei. Wir können nichts erzwingen,
lediglich Wege abkürzen", sagt Ute Czeromin
und gesteht, immer noch eine Gänsehaut
zu bekommen, wenn sie feststellt, dass
die Natur so gewollt hat wie die Eltern
sich das wünschen. Warum es jahrelang nicht
klappt, hat vielfältige Gründe. Zu je einem
Drittel liegt es an hormonellen Störungen
oder verklebten Eileitern bei der Frau,
an zu wenigen oder zu unbeweglichen Spermien
oder an beidem. In fünf Prozent der Fälle
gibt es keinerlei organische Erklärung.
Als Vera Beckmann, die Zwillingsmutter,
mit knapp 36 Jahren in die Gelsenkirchener
Praxis kam, war sie eigentlich ein klassischer
Fall. Ihr Mann und sie hatten zahlreiche
Untersuchungen hinter sich, diverse Versuche
mit künstlicher Samenübertragung. Und darüber
waren sie in die weniger fruchtbaren Jahre
geraten. Denn spätestens ab 35 sinkt bei
Frauen die Chance, schwanger zu werden,
rapide ab.
Bei Ute Czeromin entschieden sich die
Beckmanns für die künstliche Befruchtung.
Ein trotz technischen Fortschritts für
die Frau nicht gerade angenehmes Prozedere,
bei dem unter Narkose mittels einer langen
Nadel Eizellen entnommen werden. "Eine
Frau muss sich schon gut überlegen, ob
sie solch einen Aufwand treiben will. Einfach
nur aus Liebe zum Mann geht das nicht .
. .", sagt Ute Czeromin. Die Chance, auf
diese Art schwanger zu werden, liegt bei
vier Zyklen, sprich vier Versuchen, bei
60 Prozent.
Als einer der Pioniere der künstlichen
Befruchtung gilt der Essener Thomas Katzorke,
der 1981 eine der ersten Praxen gründete
und deshalb schon mal als Deutschlands
Babymacher Nr. 1 bezeichnet wird. Zwei-
bis dreitausend Paare zählt er pro Jahr
in seinen Räumen. "Die sind meist nach
langer Ausbildung und beruflicher Karriere
über 35 Jahre alt oder haben mit um die
40 Jahre eine neue Beziehung begonnen",
sagt Katzorke.
Seit vergangenem Jahr jedoch ist der Boom
der Kinderwunschpraxen jäh gebremst worden,
eben seit die gesetzlichen Krankenkassen
nur noch die Hälfte der Kosten zahlen (1500
Euro etwa pro künstlicher Befruchtung,
in vitro). "Angesichts der ohnehin sinkenden
Geburtenziffern muss diese Entscheidung
wieder rückgängig gemacht werden. Allein
wegen der Zuzahlung wurden im letzten Jahr
etwa 10 000 Babys weniger geboren", schätzt
Michael Thaele vom Bundesverband Reproduktionsmedizinischer
Zentren (BRZ).
Vera Beckmann und ihr Mann gehen derweil
in die zweite Runde. Wieder in der Kinderwunschpraxis
Gelsenkirchen, wo vom letzten Mal noch
Eizellen eingefroren lagern. Dass es noch
ein zweites Mal Zwillinge geben könnte,
schreckt die Essenerin nicht: "Wir fanden
es schon bei den ersten einfach nur klasse."
*Name geändert
Informationen im Internet
Bundesverband Reproduktionsmedizinischer
Zentren:
http://www.repromed.de